Verwaltungsgeschichte / Biographische Angaben
Die Idee motorfahrzeugfreier Sonntage besteht seit 1936, als anlässlich der Stilllegung des Motorfahrzeugverkehrs ein Berner «BUND»-Leser das erste Mal den Gedanken einer Initiative für einen monatlichen motorlosen Sonntag verfocht. Fast 40 Jahre später, 1972, bildete sich ein Komitee für die ‘Aktion motorfahrzeugfreie Sonntage’. Der damit verbundenen ‘Kleinen Anfrage’ von Nationalrat Jakob Bächtold (LdU) folgte jedoch eine abschlägige Antwort des Bundesrates. Anlässlich der Ölkrise als Folge des Nahostkriegs ordnete der Bundesrat im Spätherbst 1973 (25. November, 02./09. Dezember) in Koordination mit den Nachbarländern drei motorfahrzeugfreie Sonntage an, die in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz zu stossen schienen. Sodann beschlossen kurz darauf am 14. Dezember einige Studentinnen und Studenten aus Burgdorf (BE) die «Eidgenössische Volksinitiative für 12 motorfahrzeugfreie Sonntage pro Jahr», die sogenannte «Burgdorfer Initiative», zu lancieren. Den Initiativtext bildeten folgende zwei Artikel:
1. Am zweiten Sonntag jedes Monats ist im ganzen Hoheitsgebiet der Schweiz jeglicher private Motorfahrzeugverkehr und Motorflugzeugverkehr (inklusive Fahrzeuge mit Hilfsmotor) zu Lande, zu Wasser und in der Luft untersagt, und zwar jeweils von Sonntag 03.00 Uhr bis Montag 03.00 Uhr.
2. Der Bundesrat bestimmt die Ausnahmen von diesem Verbot sowohl in Bezug auf die Fahrberechtigung Privater wie auch in Bezug auf die zeitliche Verschiebung dieser Sonntage.
Die schweizerische Bundeskanzlei bestätigte am 30. April 1974, dass die formellen Gültigkeitserfordernisse erfüllt sind. Durch Vereinsgründung am 19. Februar 1974 erlangte das ‘Initiativkomitee der Burgdorfer Initiative’ eine rechtliche Form. Die Unterschriftensammlung startete am 15. April 1974 und folgte einem Aktionsplan, der ermöglichte, die bescheidenen Mittel optimal einzusetzen und folgende vier Hauptpunkte enthielt: a. Jede Aktion soll selbsttragend sein oder Gewinn abwerfen, damit die Aktivität erweitert werden kann; b. Es soll ein Publikum angesprochen werden, das dem Anliegen besonderes Interesse entgegenbringt; c. Durch Öffentlichkeit – vor allem via Presse – soll der Kontakt zum Volk intensiviert werden. Zu diesem Zweck ist eine gute Dokumentation bereitzustellen; d. Dem Aufbau eines Patronatskomitees ist besondere Bedeutung beizumessen.
Der grösste Teil der Unterschriften wurde auf dem Postweg eingebracht. Der damit verbundene grosse Arbeitsaufwand für Adressierung und Versand wurde von den Initianten unentgeltlich in der Freizeit bewältigt. Verschiedene spontan gebildete Arbeitsgruppen leisteten zudem wesentliche Unterstützung durch Organisation von lokalen Unterschriftensammlungen. Die öffentlichen Sammlungen, die einige Zehntausend Unterschriften einbrachten, dienten auch zur weiteren Bekanntmachung der Initiative. Die eingehenden Spenden erlaubten den Initianten die Sammelaktivität bis Ende 1974 ständig zu erweitern. Der Abbruch erfolgte schliesslich, um den administrativen Aufwand in Grenzen zu halten. Ab Januar 1975 erfolgte die Beglaubigung der Unterschriftenbogen in ca. 1200 Gemeinden. Am 30. Mai 1975 konnten 115'675 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht werden (zu dieser Zeit waren noch lediglich 50'000 Unterschriften nötig für das Zustandekommen einer Volksinitiative). Ende 1975 zählte das Patronatskomitee zudem 140 bekannte Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Recht, Professoren an Universitäten und Hochschulen (inkl. Rektor der ETH Zürich) und namhafte Politiker aus allen Fraktionen.
Behörden und Räte lehnten die Initiative allerdings ab. Während der Ständerat vor allem auf untragbare Kosten für die Tourismusbranche hinwies, bezweifelte der Bundesrat die Wirksamkeit des Volksbegehrens. In seiner Botschaft an das Parlament schrieb er: «Die Gesamtbelastung der Luft durch Abgase könnte nur in kleinem Mass gesenkt werden, weil viele Fahrten bloss vor oder nachverlegt oder auf andere Sonntage verschoben würden» (BBl 1977 II 1066). Er empfahl die Initiative deshalb ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Die eidgenössischen Räte verwarfen das Volksbegehren mit deutlichen Mehrheiten. Immerhin diskutierte die grosse Kammer verschiedene alternative Modelle, beispielsweise die Einführung von autofreien Sonntagen nur auf Bundesstrassen. Sie beauftragte zudem die zuständige Kommission mit der Ausarbeitung eines Berichts über die Möglichkeit eines einzelnen autofreien Sonntags, wobei dieser auf den Tag der Jugend gelegt werden sollte.
Die Initianten beteuerten im Vorfeld der Abstimmung immer wieder, dass es ihnen vor allem darum gehe, zum Nachdenken anzuregen und die Bevölkerung zu einem bewussteren Umgang mit dem Auto zu motivieren. Es sei nämlich durchaus möglich, auch ohne Motorfahrzeug seinen Freizeitaktivitäten nachzugehen – erforderlich sei lediglich ein wenig mehr Organisation. Diese Meinung vertraten auch LdU, EVP, POCH und NA, welche die Ja-Parole ausgaben. Demgegenüber lehnten sämtliche bürgerliche Parteien sowie die Interessenverbände der Autoindustrie die Initiative ab. Wie schon bei der Initiative «für die vermehrte Mitbestimmung der Bundesversammlung und des Schweizer Volkes im Nationalstrassenbau» stellten sich auch einige der bürgerlichen Jungparteien gegen ihre Mutterpartei und kritisieren deren autofreundliche Haltung. Stimmfreigabe beschliessen die SP und die Gewerkschaften. Die Gegner versicherten den Initianten zwar, dass sie durchaus Verständnis für ihre Anliegen hätten, sie wehrten sich aber vehement gegen gesetzlich festgelegte Einschränkungen des motorisierten Privatverkehrs. Die Vertreter des Tourismus und der Autoindustrie fürchteten sich zudem vor den ihrer Meinung nach gravierenden wirtschaftlichen Schäden der Initiative.
Am 28. Mai 1978 lehnte das Schweizer Stimmvolk die Initiative mit einem Nein-Stimmenanteil von 63,7% ab. Die Stimmbeteiligung betrug 49,1%. Während das Volksbegehren in der Westschweiz sehr klar abgelehnt wurde, brachte ihm die deutsche Schweiz insgesamt etwas mehr Sympathie entgegen. In Bern, Zürich und Appenzell Ausserrhoden lag die Zustimmung bei über 40% (vgl. Menzi, Brigitte (2010): Jugend verliert gegen Autolobby: Nein zu zwölf autofreien Sonntagen, in: Linder, Wolf, Christian Bolliger und Yvan Rielle (Hg.): Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848–2007. Bern: Haupt. S. 381-382.)