Identifikation
Signatur:
Ar 201.45
Entstehungszeitraum / Laufzeit:
ca. 1932-1978
Umfang:
0.1 m
Kontext
Verwaltungsgeschichte / Biographische Angaben
Der Begriff Trotzkismus bezieht sich auf den Leo Trotzki (1879-1940). Mitte der 1920er entstanden innerhalb der KPdSU und in der internationalen kommunistischen Bewegung oppositionelle Gruppen, welche die Bürokratisierung der Russischen Revolution unter Stalin kritisierten und der Führung der Sowjetunion Verrat an den marxistischen Ideen und Untätigkeit angesichts des aufkeimenden Nationalsozialismus vorwarfen. Einer der Hauptträger der Kritik war Leo Trotzki. Der Trotzkismus wurde von der KPdSU scharf bekämpft. Im September 1938 wurde die IV. Internationale als Sammelbecken von Delegierten trotzkistischer Bewegungen aus elf Ländern gegründet.
Parallel zur Gründung der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) entstanden in der Schweiz um 1930 zwei trotzkistische Gruppen (gegründet von Salomon Ehrlich und Walter Nelz). 1933 schlossen sich diese Gruppen mit anderen trotzkistischen Organisationen zur Marxistischen Aktion der Schweiz (MAS) zusammen. Eine institutionalisierte Kooperation mit der KPO kam nicht zustande, jedoch trat die MAS 1934 der SP bei (Entrismus). Ende der 1930er Jahre prägten die Diskussion um die Landesverteidigung und der Spanische Bürgerkrieg die Aktivitäten der MAS. Die MAS unterhielt zwar Beziehungen zu anderen trotzkistischen Organisationen, vor allem im deutschsprachigen Ausland. Die organisatorischen Verbindungen mit der IV. Internationalen selbst waren jedoch wenig intensiv. An der Gründungs-Konferenz der IV. Internationalen von 1938 waren die Schweizer Trotzkisten nicht anwesend. 1939 löste sich die MAS nach internen Querelen in verschiedene Fraktionen auf.
1943 wurden 13 Schweizer Trotzkisten von der Militärjustiz wegen Aufforderung zur Meuterei, staatsgefährdender Propaganda und anderer Vergehen angeklagt, nachdem sie in den «Informationsbriefen für revolutionäre Politik (IB)» unmenschliche Praktiken in der Armee anprangerten. Vier der Angeklagten in diesem sogenannten «Trotzkistenprozess» wurden zu Zuchthausstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt.
Nach dem Krieg bildeten sich zahlreiche trotzkistische Organisationen, darunter die wiedergegründete MAS (welche jedoch unter dem Namen "Internationale Kommunisten der Schweiz IKS" auftrat), die Proletarische Aktion, die Sozialistische Arbeiterjugend der Schweiz (SAJS), die Sozialistische Arbeiterkonferenz (SAK) und der Sozialistische Arbeiterbund der Schweiz (SAB). Letzterer lancierte in den 1950ern zwei kantonale Mindestlohninitiativen und eidgenössische Initiativen gegen die Atombewaffnung, welche an der Urne beachtliche Erfolge erzielten. Danach schlief die trotzkistische Bewegung in der Schweiz ein.
Erst im Rahmen der neuen Linken entstanden um das Jahr 1969 wieder Gruppen, welche in Kontakt zur IV. Internationalen standen, insbesondere die Revolutionäre Marxistische Liga RML (Ligue Marxiste Révolutionnaire LMR), die 1980 in Sozialistische Arbeiterpartei SAP (Parti Socialiste Ouvrier PSO) umbenannt wurde.
Übernahmemodalitäten
Die Unterlagen wurden dem Sozialarchiv 1986 von David Vogelsanger, Autor von „Trotzkismus in der Schweiz“ [69960], übergeben.
Inhalt und innere Ordnung
Form und Inhalt
Der Bestand enthält Unterlagen, die David Vogelsanger für seine Arbeit "Trotzkismus in der Schweiz - Ein Beitrag zur Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung bis zum zweiten Weltkrieg" verwendete. Darunter: Korrespondenz (Briefkopien von und an L. Trotzki). Abschriften von Interviews. Gerichtsakten Affäre Ignaz Reiss. Diverse Prozessakten. Drucksachen der Marxistischen Aktion der Schweiz. Verschiedenes. Dokumente, vorwiegend Fotokopien.
Bewertung und Kassation
Es wurden keine Kassationen vorgenommen.
Neuzugänge
Es werden keine Neuzugänge erwartet.
Zugangs- und Benutzungsbedingungen
Zugangsbestimmungen
Der Bestand ist im Lesesaal des Schweizerischen Sozialarchivs ohne Benutzungsbeschränkungen einsehbar.
Sprache/Schrift
Unterlagen in deutscher Sprache
Sachverwandte Unterlagen
Verwandte Verzeichnungseinheiten
58.02: Im Schweizerischen Sozialarchiv ist ein umfangreicher Dokumentationsbestand zum Trotzkismus vorhanden. Ferner verfügt das Sozialarchiv über einen mehr oder weniger lückenlosen Periodika-Bestand.
Ar 65: RML/SAP
Ar 120: Nachlass Walter Nelz
Veröffentlichungen
David Vogelsanger: Trotzkismus in der Schweiz. Ein Beitrag zur Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegug bis zum Zweiten Weltkrieg, Zürich 1986.
Lucas Federer, Zwischen Internationalismus und Sachpolitik. die trotzkistische Bewegung in der Schweiz, 1945-1968, Bielefeld 2022.